Unterwurmbach im Mittelalter (Teil II) von Martin Winter, Hohentrüdingen

Burg, Mühle und Schenke zu Unterwurmbach
Adelsgut in Ober- und Unterwurmbach
Die Ellwanger Lehen im 14. Jahrhundert
Die Ellwanger Lehen im 16. und 17. Jahrhundert
Zur Geschichte der Pfarrei
St. Jobst, Siechen- oder Pilgerkapelle?

Burg, Mühle und Schenke zu Unterwurmbach

In dieser hochmittelalterlichen Epoche, in der die Ritter von Wurmbach in den Urkunden der Edlen von Truhendingen als Zeugen erscheinen, dürfen wir auch den Bau der Burg in dem Ort annehmen. Genaue Angaben darüber fehlen, da man damals den Baubeginn einer Burg kaum schriftlich festlegte. So können wir nur aus dem Erscheinen dieser ritterlichen Familie den ungefähren Zeitraum um 1200 für die Errichtung einer Burg in Unterwurmbach annehmen. Ob an ihrer Stelle schon eine ältere, einfachere Befestigung, etwa eine Art Turmhügel, stand, wissen wir nicht. Die Erstellung einer Burg in Unterwurmbach diente ohne Zweifel den territorialen Bemühungen der Edlen von Truhendingen, mit Hilfe der weltlichen Schutzherrschaft über ellwangische Güter eine Art Herrschaft aufzubauen, die sich nicht über Personen erstreckte, sondern bereits eine Fläche, ein Territorium, erfaßte, wenn auch bescheidenen Ausmaßes. Die Burg zu Unterwurmbach erscheint zwar erst um 1360 in den Ellwanger Lehenbüchern als Burgstall, doch geht ihre Erbauung wohl schon in das 12. Jahrhundert zurück. Auf dieser Burg saßen die Ritter von Wurmbach, von hier aus geboten sie im Auftrag ihrer hochadeligen Brotgeber über die ellwangischen Bauern, hoben Zinsen ein, heischten Frondienste, richteten sie und gewährten ihnen aber auch wirksamen SChutz in Zeiten der Not. Von der Burg zu Unterwurmbach strömte die Macht aus, der sich die Bauern unterwerfen mußten. Sie sicherte aber auch das bescheidene Maß an Recht und Ordnung im hohen Mittelalter. Städtegründungen und Burgenbau sind die Kennzeichen der beginnenden Territorialisierung. Während die auf ellwangischem Grund errichtete Stadt Gunzenhausen die von Norden und Osten an die Altmühlfurt heranziehenden Straßen sicherte, beherrschte die Burg Unterwurmbach die Kontrolle über die von Süden und Westen kommenden Wege.

Zur gleichen Zeit, da die Burg zu Unterwurmbach als Stützpunkt der truhendingischen Herrschaft im mittleren Altmühltal entstand, wird auch die Mühle errichtet worden sein. Sie erscheint zwar auch erst um 1380 in den ältesten Ellwanger Lehenbüchern, doch darf ihr Dasein schon in der Stauferzeit angenommen werden. Burg und Mühle bildeten ja im Mittelalter nicht selten eine Gemeinschaft von gegenseitigem Nutzen. Die Burg sicherte das ungehinderte Mahlen des Getreides, der ursprünglichsten und lebenswichtigsten Volksnahrung. Die Mühle lieferte dem Burgherrn Getreide, da meist mit der Mühle auch eine Landwirtschaft verbunden war. Eine Schenkstatt zu Unterwurmbach wird um 1390 genannt. Wir dürfen annehmen, daß sie schon vor dieser Zeit bestand und vielleicht mit der Burg und der Mühle ins Leben gerufen wurde, mit denen sie eine Wirtschaftseinheit bildete. Da die Nördlinger Messe schon im 13. Jahrhundert aufblühte, wird man an der alten Fernstraße Nürnberg - Ulm schon damals einen regen Verkehr und damit ein Bedürfnis zur Übernachtung annehmen müssen. Ihre wirtschaftliche Bedeutung als Straßenwirtshaus wird die Unterwurmbacher Schenkstatt freilich erst im 15. und 16. Jahrhundert voll entfalten haben können, wo sie die wirtschaftliche Mißgunst der Gunzenhäuser Wirte erregte.

Adelsgut in Ober- und Unterwurmbach

Neben dem Kirchengut des Klosters Ellwangen bestand in der Gemarkung Unter- und Oberwurmbach auch noch Adelsgut weltlicher Herren. Das bezeugt eine Stiftung an das Kloster Auhausen. 1238 schenkte Adelheid von Absberg, die erste Gemahlin Heinrichs von Absberg, 4 Höfe und 8 Hofstätten in Dittenheim, 1 Hof in Wrenmach (Wurmbach), 1 Lehen in Obenbronn (Ubenbrunn) und 1 Neubruch in Frickenfelden an das Kloster an der Wörnitz. Es erhebt sich hier die Frage: Wie kommt ein Mitglied der Absberger Adelsfamilie dazu, dem Kloster Auhausen diesen Besitz im Altmühltal zu überlassen? Wir wissen nicht genau, welchem Geschlecht Adelheid entstammte. Daß sie der edelfreien Familie der Hürnheimer (Hürnheim im südlichen Ries) angehörte, wie Pfarrer Wilhelm, der Verfasser der Absberger Regesten, annimmt, ist nicht unwahrscheinlich. Dieses Rieser Adelsgeschlecht stand nämlich in sehr engen Beziehungen zum Kloster Auhausen und ließ ihm viele Stiftungen zukommen. Adelheid von Absberg, eine geborene von Hürnheim, fühlte sich dem Beispiel ihrer Väter und Brüder verpflichtet und schenkte dem Wörnitzkloster diese absbergischen Güter, die ihr vielleicht ihr Gemahl Heinrich zur Morgengabe verschafft hatte. Jedenfalls beweist diese Schenkung, daß in der Gemarkung Ober- und Unterwurmbach noch im hohen Mittelalter adeliges Eigengut in Streulage mit Kirchengut vorhanden war. Wir wissen allerdings nicht, ob es in Ober- oder Unterwurmbach gelegen war. Vielleicht darf man hier an Oberwurmbach denken, denn dort verkaufte im Jahr 1398 Stefan von Absberg an den Deutschen Orden in Ellingen 8 Hofstätten und die Hafergült aus der Hirtschaft, die dort zuvor der brüchtigte Raubritter Ekkeling Geiling als Lehen von Ellwangen innehatte. Wenn auch Stefan von Absberg wohl kaum der alten edelfreien Absberger Linie entstammte, sondern einer Ritterfamilie, die sich auch nach Absberg benannte, so ist es doch möglich, daß diese 8 Hofstätten in Oberwurmbach aus altem Absberger Besitz hervorgegangen sind. Unklar bleibt freilich der Besitz der Grafen von Oettingen. Wir wissen nicht, ob er Lehen von Ellwangen oder Eigenbesitz war.

Die Ellwanger Lehen im 14. Jahrhundert

Etwas klarer faßbar wird der ellwangische Besitz in Unterwurmbach erst in den ältesten Lehenbüchern aus dem 14. Jahrhundert. Da die Güter für den Aufbau eines eigenen ellwangischen Territoriums zu weit vom Kernpunkt Ellwangen entfernt waren und die weltliche Schutzherrschaft über sie an die Edlen von Truhendingen gefallen war, wurden sie zu Lehen ausgegeben. Sie gingen dadurch im Lauf der Jahrhunderte der Reichsabtei verloren. Schon am Ende des 13. Jahrhunderts mit der zunehmenden Zersplitterung des Lehensbesitzes gingen die Lehensherren dazu über, ihren an die Lehensträger ausgegebenen Grundbesitz und die damit verbundenen Rechte allmählich schriftlich zu fixieren. Mann begann mit der Ausstellung von Lehenbriefen. Um eine genaue Überprüfung der ausgegebenen Lehen und der erteilten Lehenbriefe zu ermöglichen, legten auch geistliche Grundherrschaften Lehenbücher an. In früherer Zeit wurde wohl auf eine schriftliche Fixierung verzichtet, es genügte der Lehenseid, den man höher einschätzte als die Urkunde. Zwar hatte das Kloster Ellwangen zur Kontrolle seiner Lehen einen eigenen Beamten, einen Lehenprobst, in Gunzenhausen eingesetzt, doch mit zunehmender Zersplitterung war die Anlage von eigenen Lehenbüchern erforderlich, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erfolgte.

Die Ellwanger Lehenbücher nennen zahlreiche Namen von Bauern, Bürgern und Rittern, die in Unterwurmbach Grund und Boden von der Reichsabtei Ellwagen zu Lehen trugen. Es wird dabei klar, welche enorme Zersplitterung der einstige Klosterbesitz im Lauf der Jahrhunderte über sich ergehen lassen mußte. Vom geschlossenen Hof, dessen Größe nicht näher erläutert wird, bis herunter zu kleinsten Teilen eines Morgens Ackerland oder eines Tagwerks Wiesen, die an irgend jemand verliehen werden, gehen die Einträge. Bald wird ein ganzer Hof, bald einen Hofstatt ohne Land, bald eine Selden (Hofstatt mit Land), bald ein Garten, bald ein Stück Holz oder ein Wieslein verliehen. Die namen der Lehensträger reichen von wohlbegüterten Gunzenhäuser und Weißenburger Bürgern über Unterwurmbacher Bauern bis zu den Rittern. Die Namen interessieren vor allem die Familienforscher.

Die Lage der Lehensstücke wurde zu jener Zeit nicht mit einer Plannummer in der Flurkarte versehen, sondern durch einen Flurnamen bezeichnet. Sie hatten in einer Zeit, in der das Grundbuch oder der Flurplan unbekannt war, noch eine recht praktische Bedeutung. Der Ortskundige konnte sich beim Klang des Namens ein Bild über die Lage des Grundstückes machen. Es ist erstaunlich, wie lange Zeit sich die Flurnamen im Mund des Volkes halten konnten. Da ist schon im 14. Jahrhundert von folgenden Flurbezeichnungen in Unterwurmbach die Rede: am Aher Weg, Aller-Leut-Wieslein, Anwand, in der Au, am Bacherespan, im Balzengereut, am Berg, in der Peunt, in der Raften, in der Breitwies, Breitung in der Au, die Brennwies, der Brünnleinsacker, am Bühl, die dürre Wies, die Ecklinswies, am Edersfelder Weg, in der Egerd, in der Heide, am Eerbesecker, am Fuchsacker, am Fürschlag, am Galgen zu Gunzenhausen, am Ganswerd, an der Goldfurt, am Gern, am gerochten Acker, auf der Wurmach, am Geschwai, im Grund, am Gunzenhausener Weg, an der Gutwies, am Habenbacher Weg, am Heckacker, an der Heerstraß, hinterm Dorf, an der Kriegwies, an der Kurzen, in der Lach, am Lippacher, an der Leiten, auf dem Pfahl (Limes), die Murwies, in der Niedernau, an der Pfaffenwies, die Pflaumfelderin, in der Raften, am Reschenacker, an der Schlatwies, in den Tannschroten, an der Tümpfelwies, in der Tränk, an der Tungerin, in der Wunwies oder Wentwies, am Werdlein, an der Wurmach, am Weiler. Bedenkt man, daß alle diese Namen im 14. Jahrhundert erstmals aufgezeichnet wurden, im Mund des Volkes aber schon Jahrhunderte zuvor lebendig waren, so erhält man ein Bild von dem erstaunlichen Alter dieser sprachlichen Zeugnisse, die in unserer modernen Zeit leider mehr und mehr verklingen.

Die Ellwanger Lehen im 16. und 17. Jahrhundert

Schon im 14. Jahrhundert erlosch der Stern des hochedlen Hauses der Truhendinger im Raum Heidenheim - Gunzenhausen. Damit blieben auch die territorialen Bemühungen in den Anfängen stecken. An den raschen Niedergang des Edelgeschlechtes der Truhendinger im 14. Jahrhundert scheint auch das Schicksal der Ritterfamilie von Wurmbach gebunden gewesen zu sein. Ihre Mitglieder sanken wie viele ihrer Standesgenossen in jener Zeit in die bürgerlichen Schichten ab, wanderten in die aufblühenden Städte, verarmten oder starben völlig aus. Nachfahren der einstigen truhendingischen Ministerialenfamilie von Wurmbach dürfen wir wohl in dem Ulrich Wurmacher und Hans Wurmacher erkennnen, der um 1370 noch mit einem Viertel des Burgstalles von Ellwangen belehnt war. Die Bezeichnung Burgstall läßt vermuten, daß die alte Truhendinger Burg zu Unterwurmbach schon in einem sehr ruinösen Zustand war. Sie fiel mit dem Wirtschaftsgut, der Mühle und Schenke und den dazugehörigen Höfen wohl in die Lehensoberhoheit von Ellwangen zurück und wurde von der Reichsabtei erneut in Teilen als Lehen ausgegeben. Dadurch drangen auswärtige Bürger und Adelsfamilien als Kräftegruppen in Unter- und Oberwurmbach ein. Im Jahr 1404 wurde ein gewisser Georg Ödenburger mit dem Burgstall, einer Behausung, einer Mühle und einer Schenkstatt belehnt. Diese Lehen waren 1415-1418 der Katharina von Leuzenbrunns Schwester angewiesen gewesen. 1418 kaufte sie ein Gunzenhäuser Bürger mit dem rätselhaften Namen Sifried Bunikein von Görig und Kunz Ödenburger und hinterließ sie 1432 seinem Sohn Hans. Hans Bunikein von Gunzenhausen übergab sie 1459 seinem Schwiegersohn Hermann Kautsch, von dem sie 1463 seine Witwe Barbara Kautsch erbte. Im Jahr 1476 empfing Engelhard von Muhr durch seine Ehefrau Barbara die Lehen zu Niederwurmbach. Er vererbte sie sodann auf seine Söhne Gilg, Jörg und Jobst von Muhr. 1489 erhielt sie Gilg von Muhr allein. 1529 wurde mit diesen Lehensstücken Leonhard von Gundelsheim belehnt. Damit trat jenes weitverzweigte Geschlecht erst verhältnismäßig spät in die Geschichte Unterwurmbachs ein.

Einen Überblick über die verschiedenen Herrschaften, die im Lauf der Jahrhunderte in Ober- und Unterwurmbach eingewurzelt waren, erhalten wir 1624. In Oberwurmbach gehörten zu jener Zeit 13 Häuser nach Ansbach, 4 nach Oettingen, 5 nach Eichstätt. In Unterwurmbach unterstanden 24 Häuser den Gundelsheimern, 20 den Markgrafen von Ansbach, 4 den Herren von Lentersheim, 2 dem Deutschen Orden in Ellingen, 1 dem Freiherrn von Eyb, 1 Edelsitz den Herren von Gundelsheim. 1648 fielen nach dem Absterben der Gundelsheimer die Lehen an die Fürstpropstei Ellwangen zurück. 1669 wurden die ellwangischen Güter mit allen Rechten um 200 Gulden vom Markgrafen gekauft. Im gleichen Jahr erwarb der Markgraf auch die Eybschen Untertanen. 1775 ging der Besitz der Oettinger an Ansbach. Damit gelangten alle Güter und Rechte in Unter- und Oberwurmbach in die Hand der Markgrafen, die dort ihre volle Landeshoheit ausbauen konnten.

Zur Geschichte der Pfarrei

Unser heutiges lückenloses Pfarreinetz ist das Ergebnis jahrhundertelanger Entwicklung. Neben sehr alten Pfarreien, deren Gründung zumindest in die Karolingerzeit zurückgeht, stehen jüngere, die erst in späteren Jahrhunderten aus den großen Sprengeln alter Urpfarreien abgespaltet wurden. Unterwurmbach wurde erst im vorigen Jahrhundert selbständige Pfarrei. Bis dorthin gehörte es der alten Urpfarrei Gunzenhausen an, über deren Anfänge allerdings völliges Dunkel gebreitet liegt. 823 wird wohl das Kloster erwähnt, nicht aber die Pfarrei. Die Vermutung der Gunzenhäuser Lokalhistoriker, daß die Pfarrei Gunzenhausen von der Reichsabtei Ellwangen ins Leben gerufen und von dort verwaltet wurde, wird wohl der Wahrheit am nächsten kommen. Noch im 13. Jahrhundert war Ellwangen der Eigenkirchenherr in Gunzenhausen. Zum Sprengel der mittelalterlichen Urpfarrei Gunzenhausen gehörten die Orte Gunzenhausen, Laubenzedel, Unterwurmbach, Oberwurmbach, Schlungenhof, Sinderlach, Oberasbach und Obenbrunn, im wesentlichen also jene Orte, in denen Ellwangen begütert war. Mit der zunehmenden Volksfrömmigkeit des ausgehenden Mittelalters entstanden auch in den größeren Siedlungen alter Pfarrsprengel Gotteshäuser, mit denen allerdings oft lange keine Pfarrrechte verbunden waren. Tauf- und Begräbnisrecht blieben manchmal beharrlich bei der alten Mutterkirche.
In Unterwurmbach wird 1520 eine Kapelle erwähnt, die dem heiligen Jobst geweiht war. Schon 1505 wird in den Ellwanger Lehenbüchern ein Lehen bei St. Jobst genannt. Es erhebt sich nun die Frage: Wie kommt die Kapelle zu Unterwurmbach zu diesem Heiligen? Zunächst muß hier festgehalten werden, daß der heilige Jobst sprachlich nicht etwa mit dem heiligen Jakobus gleichgesetzt werden darf, dem galiläischen Fischer und Bruder des Johannes, der nach der Legende in Spanien gepredigt haben und dessen Leib am 25. Juli dorthin gebracht worden sein soll. Dieser Jakob der Größere findet sich gern als Schutzheiliger von Kirchen an bedeutenden Fernstraßen, in denen Pilger einkehrten, die auf Wallfahrten nach St. Jago de Compostela in Spanien gingen. Auch in der Kirche zu Unterwurmbach soll sich auf einem verschwundenen Altar ein Bild des heiligen Jakobus mit Pilgerstab und Muschel befunden haben, wenn man hier nicht an den heiligen Jodokus in Pilgertracht denken will. Die Gestalten beider Heiliger fließen in der Volksvorstellung oft zusammen. Merkwürdig ist das benachbarte Auftreten von Jakobus und Jodokus in Ornbau als Kirchenheilige.

Die lateinische Form Jodokus des ursprünglich griechischen Namens Iodokos wurde im Französischen zu Josse und ist von dort als Jost in das Deutsche eingedrungen. Der heilige Jodokus (Jost, Jobst) gehört nicht zu jenen Heiligen, die schon sehr früh in der gesamten Kirche allgemeine Verehrung genossen und zum Heiland selbst in nahen Beziehungen standen wie etwa Maria, Johannes der Täufer, die Apostel Petrus, Andreas oder Jakobus. Er darf auch nicht in jenen Rang eingestuft werden, den etwa der Erzmätyrer Stephanus oder der Erzengel Michael oder der Diakon Laurentius und der heilige Georg erhielten. Seine Verehrung beginnt erst im ausgehenden Mittelalter, sich von den alten Kultstätten aus dem Eifel-Mosel-Raum (St. Prüm, St. Maximin in Trier und in Walberberg bei Bonn) nach Deutschland auszubreiten. Gewiß wurde sein Kult in diesem Raum schon früh gepflegt. So wurde z. B. in Walberberg (Landkreis Bonn) das alte Jodokus-Patrozinium durch Überführung von Reliquien der heiligen Walburgis und Errichtung einer Kirche schon um 1050 zu Ehren unserer Heidenheimer Heiligen verdrängt. Der Kult des heiligen Jost wurde durch das deutsche Königsgeschlecht der Lützelburger (Luxemburger), das im Westen des Reiches ansässig war, aber seine Wirksamkeit im Osten entfalten sollte, neu belebt und in seinem Einflußbereich in Böhmen und Mähren verbreitet. Mit den Lützelburgern, deren bedeutendste Vertreter kaiser Heinrich VII. (1308-1313) und Kaiser Karl IV. (1347-1378) in französischem Geist und Gelehrsamkeit erzogen wurden, begann im Abendglanz des Rittertums ein böhmisches Zeitalter deutscher Geschichte. Von Karl IV. ist bekannt, daß er ein eifriger Reliquiensammler und Klostergründer war. Mit den Lützelburgern wanderte auch die Verehrung des heiligen Jost von Frankreich her nach Osten.

Stellt man nun die Frage, zu welcher Zeit des Patrozinium des heiligen Jost, der ja auch Schutzheiliger für Feldfrüchte, Schiffer und Pilger war, nach Unterwurmbach kam, so wird man hier wohl jene Epoche annehmen dürfen, als die alte Urpfarrei Gunzenhausen im Besitz des Klosters Himmelthron war. Das Kloster als Eigentümer der Pfarrei hat sicher einen entscheidenden Anteil an der kirchlichen Entwicklung in seiner ihm gehörigen Pfarrei genommen und bestimmt, welchem Heiligen die Kapelle in Unterwurmbach zum Schutz empfohlen wurde. Das Nonnenkloster des grauen Ordens der Zisterzienserinnen Himmelthron verdankt seine Entstehung dem frommen Willen der Gräfin Kunigunde von Orlamünde, einer geborenen Gräfin von Leuchtenberg. Sie ließ es als Werk echter Frömmigkeit nicht zuletzt zu ihrem Seelenheil errichten und trat selbst in das Kloster ein. Mit der Ausführung der Gründung wurde der Nürnberger Schlutheiß Konrad Groß beauftragt, der wenige Jahre zuvor das Heilig-Geist-Spital in Nürnberg ins Leben gerufen hatte. Konrad Groß hatte auch zunächst den Auftrag, das Kloster innerhalb des Heilig-Geist-Spitals in Nürnberg einzurichten. Es erwies sich aber diese Stiftung dort als unzweckmäßig, und so entschloß man sich 1348 zu einer Verlegung in die gräumige Burg Gründlach (heute Großgründlach bei Fürth), die die Gräfin 1343 als Witwensitz gekauft hatte. Konrad Groß starb 1356, erwirkte aber noch vorher einen Schutz- und Privilegienbrief Kaiser Karls IV., der dem Kloster alle Freiheiten und Immunitäten sicherte und bestätige. Es ist daher möglich, daß das Kloster bei der Wahl eines Patrons für seine ihm unterstehende Kapelle in Unterwurmbach auf jenen heiligen Jost zurückgriff, der bei Karl IV. im besonderen Ansehen stand und in jener Zeit bei dem Geschlecht der Lützelburger in Erinnerung an ihre lothringische Verwandtschaft und westliche Herkunft sehr beliebt war. So führte z. B. ein Enkel des Böhmenkönigs Johann, des Vaters Karl IV. den Namen Jost. Will man aber an eine besondere Beziehung des Klosters Himmelthron in Gründlach zu Karl IV. und den Böhmenkönigen nicht glauben, so muß man doch annehmen, das die allgemeine Beliebtheit dieses Heiligen in jener Zeit und insbesondere in Nürnberg der Anstoß für die Wahl zum Patron in Unterwurmbach war. Zweifellos wird aber hier der damalige Eigenkirchenherr, das Kloster Himmelthron in Großgründlach, einen entscheidenden Einfluß bei der Wahl geltend gemacht haben.

St. Jobst, Siechen- oder Pilgerkapelle?

Man hat erkannt, daß St. Jobst vielfach als Patron der Siechenhäuser erscheint. Die Ursache dürfte wohl darin liegen, daß der Name Jost (lat. Jodocus) von dem Namen Job (für Hiob) beeinflußt wurde und daß dadurch auch die ihm zugeschriebene Funktion in engste Verwandtschaft mit Hiob, dem Typus des Aussätzigen, gelangte. Ein Beispiel bietet in Nürnberg eine alte Kirche an der ehemaligen Handelsstraße nach Eger, die dem heiligen Jobst geweiht und mit der ein Siechkobel verbunden war. Auch in Unterwurmbach hat man die Kapelle St. Jobst mit den Siechen in Verbindung gebracht. Läßt sich dieser Zusammenhang bestätigen? Durch Unterwurmbach und Gunzenhausen führte die bedeutende mittelalterliche Handelsstraße von Nürnberg nach Ulm und Genf. Diese Straße vermittelte im 15. und 16. Jahrhundert die starken Wirtschaftsinteressen der Stadt Nürnberg mit den Genfer Genfer Messen und nach deren Niedergang mit den Messen in Lyon. Sie erhielt deshalb auch den Namen Messestraße, wobei sie natürlich nicht etwa nur zur Zeit der bedeutenden Messen in Nördlingen, Genf und Lyon benutzt wurde, wenn auch vor und nach diesen Festen ein gesteigerter Verkehr auf diesem Fernhandelsweg alljährlich zu verzeichnen war. Von Nürnberg über Ulm besaß diese Messestraße mit der Spülgenstraße nach Mailand gemeinsame Spur bis Ravensburg, wo 1385 ebenfalls eine dem heiligen St. Jodokus geweihte Kirche errichtet wurde. Die Wirtschaftsbeziehungen der Nürnberger, der oberschwäbischen und der Schweizer Städte entlang dieser Straßen hatten sich längst über Südfrankreich nach Spanien und Portugal ausgedehnt und einen ständigen Warenaustausch bewirkt. Die Reisenden verstanden es vorzüglich, Geschäftsreise, Verwandtenreise und Pilgerfahrten nach den berühmten Wallfahrtsorten von Kloster Einsiedeln und zum heiligen Jakob von Santiago de Compostela in Spanien miteinander zu verbinden. Durch den bedeutenden Handelsverkehr auf dieser Straße wurden nicht allein die Ennahmen der Zollstationen Gunzenhausen und Unterwurmbach vermehrt,der Durchzug von Kaufleuten und Pilgern brachte auch erweiterte Verdienstmöglichkeiten für die einheimischen Fuhrleute, Handwerker und Wirte mit sich. Angesichts der allgemein schlechten Straßenverhältnisse mußten laufend Wagner, Schmiede, Zimmerleute (Altmühlbrücke) und Sattler zu Reparaturen herangezogen werden.

Andererseits brachte die Fernhandels- und Pilgerstraße (Messestraße) natürlich auch fremde Leute und damit ansteckende Krankheiten ins Land. So ist es kein Zufall, daß an dieser Straße von Unterwurmbach bis Gunzenhausen eine Reihe von Flurnamen und Flurdenkmälern mit ihr in unittelbarem Zusammenhang steht (Martersäule an der Altmühlbrücke, Schenkenkreuz, bei den Siechen, Galgen). Um das Einschleppen ansteckender Krankheiten zu verhindern, hatte an dieser Straße in der Nähe der Altmühlbrücke die Stadt Gunzenhausen ein Haus für die Siechen errichtet, das schon in den ältesten Ellwanger Lehenbüchern um 1360 erwähnt wird. Es war wohl zum Schutz gegen die Verbreitung der Miselsucht gedacht, einer Krankheit, die in Ägypten ihren Ursprung hatte, nach Asien und Griechenland verschleppt und hier wegen des schuppigen Ausschlages Lepra (Aussatz) genannt wurde. Der Aussatz war in Westeuropa schon vor den Kreuzzügen bekannt. Die Meinung, daß er durch sie eingeschleppt wurde, ist also nicht ganz richtig. Doch haben Kreuzzüge und Pilgerfahrten gewiß zur starken Verbreitung beigetragen. In den Städten ist man mit den Aussätzigen nicht gerade rücksichtsvoll umgegangen. Die "sundersiechen", die "abgesonderten Kranken", wurden genötigt, die gesunden Menschen zu meiden. Man fürchtete die Ansteckung und beschönigte die Hartherzigkeit damit, daß man die Krankheit als eine von Gott geschickte Strafe erklärte. Das Siechhaus oder der Siechkobel lag am Rand oder vor der Stadt. Auch die Stadt Gunzenhausen versuchte, die vom Aussatz Befallenen, die sich von Süden her auf der alten Messestraße dem Ort näherten, schon jenseits der Altmühl abzufangen, noch bevor sie die Altmühlbrücke betraten. Dort muß sich noch auf der Gunzenhäuser Markung das älteste Siechenhaus befunden haben. Wann es errichtet wurde, ist nicht bekannt. Vielleicht entstand es erst im 14. Jahrhundert, denn in der Regierungszeit Karls IV. (1348-1378) hat sich der Schwarze Tod, die aus dem Orient eingeschleppte Beulenpest, mit unwiderstehlicher Wucht verbreitet und ist aus den Mittelmeerländern auch nach Deutschland vorgedrungen. Sie forderte vor allem in den dichtbewohnten, unsauberen Gassen der Städte bei dem völligen Mangel hygienischer Kenntnisse namenlose Opfer. Die Geißlerfahrten, religiös-asketische Bittprozessionen zur Abwendung der herannahenden Pest, trugen erst recht zur Verbreitung der Pestkeime von Land zu Land bei. So fürchtete man auch in Gunzenhausen ein Herannahen der Seuche auf der aus den Mittelmeerländern heranführenden Messestraße und errichtete vor der Altmühlbrücke ein Siechenhaus, wenn man dort nicht schon vorher einen Siechkobel für Aussätzige annehmen darf.

Da nun an der gleichen bedeutenden Fernhandelsstraße nach dem Süden in Unterwurmbach die St.-Jodokus-Kapelle liegt, brachte man das Siechenhaus in Gunzenhausen und die Jodokuskapelle in Verbindung und erklärte sie als die Kirche für die Siechen in Gunzenhausen. Man fragt sich allerdings: Wie sollten die Siechen bei der weiten Entfernung vom Siechkobel an der Altmühlbrücke bis zur St.-Jodokus-Kapelle in Unterwurmbach abgesondert sein? Siechenhaus und Siechenkapelle erforderten doch wohl ein nahes räumliches Beisammensein ähnlich wie das mittelalterliche Spital und die Spitalkirche.

Der Kapelle des heiligen Jobst in Unterwurmbach wird man doch im ausgehenden Mittelalter eine andere Bedeutung zuschreiben müssen. Der heilige Jobst galt nämlich zu jener Zeit nicht nur als Schutzheiliger der Siechen, er war auch vor allem Patron der Pilger, Schiffer und der Feldfrüchte. Als Patron der Feldfrüchte war er bei den Unterwurmbacher Bauern willkommen, aber seine Funktion als Heiliger der Kapelle verdankt er doch wohl der alten, in die Ferne führenden Messestraße nach Welschland. Die Kapelle war in erster Linie als Betstätte für die durch Unterwurmbach ziehenden und dort auch übernachtenden Pilger und Fuhrleute gedacht. Sie liegt genau an jener Straßengabel, wo sich die alte Straße nach Nördlingen und die nach Wassertrüdingen und Dinkelsbühl, Ellwangen und weiter nach Gmünd führende Straße trennen. Dazu muß noch die von Feuchtwangen über Ried nach Wurmbach über Wald an die Altmühlfurt heranführende Straße beachtet werden. Es ist bekannt, daß die Fuhrleute in den Gasthäusern (Schenken) von Unterwurmbach gern einkehrten und dort auch Herberge nahmen. Die Stadt Gunzenhausen betrachtete mit einer gewissen Mißgunst die Geschäfte der Unterwurmbacher Wirte im Beherbergungsgewerbe. Sie erreichte im Jahr 1511 beim Burggrafen von Nürnberg einen Vertrag mit Gilg von Muhr, der 1489 die Schenkstatt als Lehen von Ellwangen elhalten hatte. In diesem Vertrag wurde bestimmt, daß die Wirte zu Unterwurmbach keine Fuhrleute vor Untergang der Sonne beherbergen dürfen. Einen von Gunzenhausen in Richtung Unterwurmbach fahrenden Fuhrmann durften sie überhaupt nicht mehr beherbergen. Man wollte den Unterwurmbacher Wirten nur das Geschäft mit den einheimischen Bauern lassen. Diese Maßnahmen werfen ein Licht auf die wirtschaftliche Bedeutung der alten Messestraße für Unterwurmbach, auf der die Grafen von Oettingen bis zum Schenkenkreuz (nicht Schenkelkreuz!) das Geleitsrecht ausübten. Im Hinblick auf diese bedeutende Fernstraße wird wohl auch die Kapelle St. Jobst als Einkehrkapelle für durchreisende Fuhrleute und Pilger errichtet worden sein. Wirtschaft und Religion waren im Mittelalter enger verbunden als heutzutage.